Hochschulen im digitalen Wandel

Zwischen Lehre, Facebook und ERP-Management

26.08.2014
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Seit mehr als einer Dekade ist Jörg Jung im ERP- und Cloud-Markt unterwegs. Als Computerwoche Experte schreibt er zu allem, was den Markt für ERP und BI bewegt und vor allem verändert – gleich ob es die öffentliche Hand oder private Unternehmen betrifft. Statt auf bloße Stärke setzt er auf die Kraft des Wandels: „It is not the strongest that will survive nor the fittest. It is the most adaptive to change”. Jung ist Geschäftsführer der Unit4 Business Software GmbH.
Der Bologna-Prozess und die zunehmende Wettbewerbsausrichtung der Hochschulen setzen Hochschulverwaltungen unter Modernisierungsdruck. Insellösungen machen einen IT-gestützten Informationsaustausch kaum möglich und stehen notwendigen Veränderungen im Weg.

Wegbereiter für die digitale Modernisierung der Hochschulen

Gegenüber dem strengen Regelwerk an Schulen ging es an den Universitäten schon immer etwas lockerer zu. Wurden Essen und Trinken im Unterricht während der Schulzeit mal mehr mal weniger hart bestraft, konnte man sich im Hörsaal getrost dem Schlürfen – wenn auch geräuschlos – seines Filterkaffees hingeben. Ähnlich gestaltet sich das Bild bei den Smartphones. Studenten sind in der Regel immer online, auch wenn dies potentiell zu einer Ablenkung vom Seminarstoff führen kann. Gleichzeitig bilden die neuen Social Technologien viel Potential für innovative Lernmöglichkeiten. Die heutige Schüler- und Studentengeneration ist es gewohnt, Inhalte schnell zu erstellen (man denke nur an die Abermillionen lustigen Memes), Inhalte mit eigenen Meinungen weiterzuentwickeln, zu kommentieren, liken und zu teilen. Die Studenten sind den Universitäten bei der Nutzung der Potentiale neuer Technologien naturgemäß voraus. Doch die digitale Welt wird nach und nach immer weiter in die Hochschulen und Forschungseinrichtungen diffundieren.

Wettbewerbsorientierung erfordert Automatisierung

Auch wenn man einen festen Startpunkt für die Diskussion rund um das Thema Nutzung neuer Medien im universitären Betrieb nur ungenau benennen kann, kann doch festgehalten werden, dass die Reform der Hochschulstruktur (Bologna-Prozess) und die Nutzung neuer Medien oder besser umfassender gesagt die Digitalisierung des gesamten Hochschulbetriebs mannigfaltige Berührungspunkte haben. So wurde aus der Angleichung der Studienstrukturen in Europa und der orts- wie zeitunabhängigen Bereitstellung von Bildungsangeboten sowie Dienstleistungen mittels neuer Informations- und Kommunikationstechnologien der Begriff E-Bologna geprägt. Mittlerweile ist vor allem das Hochschulforum Digitalisierung, mit 70 hochrangigen Experten aus Hochschulen, Unternehmen, internationalen Organisationen und der Politik, als nationale, unabhängige Plattform damit beschäftigt, den Dialog über die Digitalisierungspotentiale der deutschen Hochschulen zu bündeln und zu moderieren.

Neben der Entwicklung hochschulübergreifender Programme und Bildungsverbünde auf regionaler, überregionaler und transnationaler Ebene hat sich jedoch eine weitere Entwicklung gesellt, die die Digitalisierung vorantreibt: die Wettbewerbsausrichtung der Unternehmen. Aus staatlichen Einrichtungen sind eher privatwirtschaftlich geführte Organisationen geworden, auch aufgrund ihrer gewachsenen Autonomie. Es gilt nicht mehr nur eine Spitzenposition in Lehre und Forschung zu erlangen, sondern auch den hohen Anforderungen an den Service für Studierende, Wissenschaftler und administrative Mitarbeiter gerecht zu werden. Dafür ist es notwendig, Campus-Management-Prozesse zu automatisieren, in die Verwaltungsprozesse zu integrieren sowie die Bologna-Reformen umzusetzen. Um sich diesen Herausforderungen stellen zu können, sind entsprechende organisatorische, aber vor allem auch informationstechnologische Lösungen unabdingbar.

Jörg Jung: "Der Wettbewerbsgedanke der Privatwirtschaft scheint noch nicht wirklich bei den Hochschulen angekommen zu sein."
Jörg Jung: "Der Wettbewerbsgedanke der Privatwirtschaft scheint noch nicht wirklich bei den Hochschulen angekommen zu sein."
Foto: UNIT4 Business Software GmbH

Übergreifendes ERP-System statt Insellösungen

In den vergangenen Jahren wurde damit begonnen, die vorhandene IT-Infrastruktur an den Hochschulen, die sich bisher meist aus Insellösungen zusammensetzte und kaum einen IT-gestützten Informationsaustausch ermöglichte, durch integrierte Anwendungssysteme abzulösen. Dabei setzt man vor allem auf ERP- und Campus-Management-Systeme, die der Verwaltung der Finanzen, des Personals, der Forschungsprojekte und des sogenannten Student Lifecycle dienen. Die Vorteile liegen auf der Hand:

• Verbesserte Informationsbereitstellung zur Planung und Steuerung
• Höhere Qualität von Forschung und Lehre
• Optimierter Service für Fakultäten, Studierende und Angestellte
• Verbesserte Wettbewerbsfähigkeit bei der Vergabe von Forschungsmitteln
• Neue Möglichkeiten für die Expansion ins Ausland und Abschluss neuer Partnerschaften
• Schnellere Anpassung der Strukturen und Prozesse an Veränderungen
• Höhere Transparenz bei Budgetierung, Ausgabenplanung sowie gegenüber Mittelgebern und Spendern
• Bessere Ausgangsposition im Wettbewerb um gutes Personal
• Verringerte Ausgaben aufgrund erhöhter Prozesseffizienz und vereinfachter Kostenkontrolle

Integrationshindernisse

Ein solches Anwendungssystem in den Hochschulapparat zu integrieren, ist jedoch kein leichtes Unterfangen. Neben den damit einhergehenden organisatorischen Veränderungen gehen vermeintliche individuelle Freiheiten aufgrund der Standardisierung von Prozessen verloren und können so interne Barrieren bei den Angestellten auslösen. Aber auch auf Herstellerseite ist das notwendige Hintergrundwissen rund um das System Hochschule, das sich deutlich von herkömmlichen Unternehmen unterscheidet, nicht immer vorhanden. So ist es auch nicht verwunderlich, dass das Angebot an integrierten Hochschullösungen begrenzt ist. Altbewährtes genießt noch Vorrang. Um die Bedürfnisse und Eigenheiten des Systems Hochschule zu ermitteln, veröffentlichte die Technische Universität Dresden bereits 2012 eine Studie zum Thema. Die Ergebnisse, die auf einer Befragung deutscher Hochschulen mit mehr als 1.000 Studierenden beruhen, sind jedoch bis heute aktuell. Denn Hochschulen setzen oftmals auf Altbewährtes und ihr Fokus bei der Einführung einer ERP-Lösung liegt nach wie vor auf der Unterstützung der Finanzabteilungen – vor allem aufgrund verschiedener Verwaltungsreformen und dem Wunsch nach stärkerer finanzieller Transparenz.

Damit nutzt noch immer nur ein Teil der Hochschulen die Vorteile eines integrierten Gesamtsystems und oft kommen lediglich einzelne Software-Module zum Einsatz. Der Wettbewerbsgedanke der Privatwirtschaft scheint hier noch nicht wirklich bei den Hochschulen angekommen zu sein. Doch das Unternehmen Hochschule wird sich weiter entwickeln, so dass der Bedarf an einfach zu implementierenden und zu handhabenden Hochschullösungen wachsen wird. (bw)