Das Prinzip der Roten Königin

Wie Coca-Cola seine IT auf Trab hält

30.12.2014
Von 
Karin Quack arbeitet als freie Autorin und Editorial Consultant vor allem zu IT-strategischen und Innovations-Themen. Zuvor war sie viele Jahre lang in leitender redaktioneller Position bei der COMPUTERWOCHE tätig.
Die viel zitierte IT der zwei Geschwindigkeiten ist bei der Coca-Cola Erfrischungsgetränke AG Realität. Dank SAP-Kern und mobiler App-Umgebung will das Unternehmen mit dem Markt Schritt halten.

Hierzulande musst du so schnell rennen, wie du kannst, wenn du am gleichen Fleck bleiben willst. - So sprach die Rote Königin in Lewis Carroll's Roman "Through the Looking-Glass" ("Alice hinter den Spiegeln", die Fortsetzung von "Alice im Wunderland"). Dieses, auch in der Evolutionstheorie bekannte, Prinzip wirkt laut Marcus Franke, IT-Verantwortlicher der Coca-Cola Erfrischungsgetränke AG (CCEAG), auch in der weltweiten Entwicklung der Märkte: Wer mit deren Veränderungen mithalten will, muss sich schon rasch bewegen können.

Seit März 2013 laufen die Fäden für das deutschlandweite Geschäft in der Straulauer Allee, Berlin, zusammen.
Seit März 2013 laufen die Fäden für das deutschlandweite Geschäft in der Straulauer Allee, Berlin, zusammen.
Foto: Coca-Cola (Deutschland)

Franke weiß, wovon er spricht: Er ist von Haus aus kein Informatiker, sondern Betriebswirtschaftler. Über den Finanzbereich ist er zur Informationstechnik gekommen, und er nennt sich folglich auch nicht CIO, sondern Director Business Transformation. "Wir verändern durch Technologie das Unternehmen", so lautet sein Credo.

Red Queen on Speed

Schon vor einem knappen Jahrzehnt stellte das Management der CCEAG fest, dass die Komplexität der Konzernstruktur die Agilität beeinträchtigte. Franke, der dem Konzern seit 2001 angehört, spricht in diesem Zusammenhang sogar von "Wertevernichtung". In der folgenden, etwa zwei Jahre dauernden Phase der Konsolidierung wurden beispielsweise die 85 rechtlichen Einheiten in Deutschland auf nur mehr vier konzentriert.

Gleichzeitig wollte die Konzernspitze in Atlanta die geschäftskritischen IT-Anwendungen weltweit vereinheitlichen - im Rahmen eines globalen SAP-Templates mit der Bezeichnung "Coke One". Das Projekt startete in Deutschland im Jahre 2008. Anfang 2011 übernahm der damals erst 34-jährige Franke die Projektleitung - und gleich auch die Verantwortung für die IT der CCEAG.

Am Ende sollte das Gesamtvorhaben fünf Jahre in Anspruch genommen haben. Gründe waren die Komplexität und die aus Risikogesichtspunkten getroffene Entscheidung, das System in mehreren Wellen auszurollen. "In dieser Zeit mussten wir uns in der IT wegen der notwendigen Integration der ehemals unabhängigen Coca-Cola Konzessionäre in die CCE AG und aufgrund der SAP-Implementierung stark mit uns selbst beschäftigen", berichtet Franke.

Gleichzeitig veränderten sich die weltweiten Märkte mit zunehmender Geschwindigkeit; beispielsweise löste die Einführung des iPhone im Jahr 2007 einen in dieser Intensität unerwarteten Mobility-Boom aus. "Die Rote Königin lief sozusagen auf Speed, und wir fielen technologisch hinter die Anforderungen des Markts zurück", erinnert sich Franke.

Der Anspruch der IT, das Wachstum zu fördern, drohte, sich ins Gegenteil zu verkehren. "Ohne einen grundlegenden Wandel sahen wir keine Möglichkeit, das zu verhindern", so das Fazit des Directors Business Transformation. Aber wie war dieser Wandel zu bewerkstelligen? Schließlich gab es neben den Ansprüchen des agilen Markts auch noch die des eher statischen Unternehmenskerns, dem Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit mindestens so wichtig sind wie Flexibilität und Time-to-Market.

Foto: Coca-Cola (Deutschland)

Vertriebsautomatisierung

Auf der Suche nach der "Quadratur des Kreises" fand Franke zu der von Gartner - und anderen Technology-Research-Unternehmen - propagierten IT der zwei Geschwindigkeiten. "Die Anforderungen im Backoffice des Konzerns ändern sich längst nicht so schnell wie die des Markts", erläutert der IT-Chef. Das SAP-System sollte deshalb als stabiler Kern unangetastet bleiben, um die Integrität der internen Prozesse nicht zu gefährden.

Darüber oder darum herum wird hingegen ein agiler "Layer" gespannt, der die markt-und kundennahen Prozesse abbildet. Diese Anwendungsschicht ist so konzipiert, dass sie durchgängig die mobile Interaktion von Mitarbeitern, Managern und Kunden unterstützt.

Franke und sein Team entschieden, die für eine Zusammenarbeit mit den Kunden bestimmten Applikationen auf Basis der Salesforce.com-Plattform entwickeln zu lassen. Als Partner wählten sie das Berliner Unternehmen YOUR SL. Die für das iPAD optimierte Vertriebsautomatisierungs-App wird den Außendienst der CCEAG voraussichtlich ab Ende diesen Jahres auf Schritt und Tritt begleiten.

Ebenfalls geplant ist eine mobile App für das Management, die nicht nur auf iPads, sondern auch auf iPhones verfügbar ist. Während die Vertriebs-App den jeweiligen Einzelkunden im Fokus hat, deckt die Management-App den Gesamthorizont ab. Später soll eine App für Supply-Chain-Management und Logistik folgen. Ebenfalls in Arbeit ist ein Kundenportal, über das auch Direktbestellungen und andere Online-Services möglich sein sollen. "Online-Bestellungen im B-2-B-Bereich sind in der Getränkebranche bislang unbekannt", sagt Franke.

Anders als die SAP-Templates sind die marktnahen Applikationen nicht weltweit standardisiert. Zwar ähnelt das deutsche System dem australischen, aber die in den USA verwendeten Anwendungen sehen völlig anders aus. "Wir setzen das so auf, dass jedes Land es nutzen kann, wenn es möchte", konstatiert Franke, "aber letztlich haben unsere Märkte traditionell hohe Freiheitsgrade". Und das Front-office standardisieren zu wollen sei ohnehin müßig.