Social Media

Eine Bedrohung für unsere Selbstbestimmung?

Kommentar  20.10.2017
Von 


Jörg Hawlitzeck ist Unternehmer, Managing Partner von Business Culture, Keynote-Speaker und Autor, ist Experte für Executive Mindset. Bei Springer erschien sein Buch "Das Zukunfts-Mindset. Neun Strategien, um auch morgen noch im Spiel zu sein.
Social Media binden immer stärker unsere Aufmerksamkeit im Alltag. Wie können wir einen Übergriff auf unser Leben vermeiden? Wie zugleich Social Media klug nutzen? Es hängt - wie so vieles im Leben - von uns selbst ab!

Reet Hastings, CEO von Netflix, sagte neulich: "Unsere größten Konkurrenten sind YouTube, Facebook und der Schlaf." Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Wenn ich auf Netflix meine Lieblingsserie schaue, spielt die nächste Folge automatisch wenige Sekunden nach dem Ende der vorherigen weiter. Auch YouTube hat das Prinzip des Autoplay übernommen - selbstverständlich mit Unterbrechung einer kurzen Werbepause.
Und in der Timeline von Facebook springen mich Videos an, die loslegen, obwohl ich sie eigentlich gar nicht sehen will. Was soll diese automatische Berieselung?

Sozial oder Social Media? Oft ist die Entscheidung schon getroffen.
Sozial oder Social Media? Oft ist die Entscheidung schon getroffen.
Foto: GaudiLab - shutterstock.com

Kampf um Marktanteile

Im Moment tobt ein gnadenloser Kampf um Marktanteile im Netz. Ausgetragen wird er über die Verweildauer der User auf der jeweiligen Plattform. Hierbei spielt Autoplay eine zentrale Rolle. Es führt dazu, dass viele Menschen in Inhalte hineingezogen werden, die zu konsumieren sie sich gar nicht bewusst entschieden haben.

Viele von uns vertreiben sich die Zeit beim Warten auf den Zug oder Flieger gern mit Facebook. Und auch abends auf dem heimischen Sofa, geht der Griff zum Smartphone oder zum Tablet. Dabei springen wir von einem Video zum nächsten und landen schließlich bei so überlebenswichtigen Themen wie fitten Menschen, die horizontal an einer Stange schweben, den neuesten Pranks aus Brasilien oder lustigen Tiervideos. Ganz zu schweigen von den vielen gesponserten Inhalten, die uns zum Download, Kauf oder Konsumieren von Produkten oder Dienstleistungen bewegen sollen. Die Bandbreite reicht von "Schlank in 8 Tagen" bis zu "Erziele endlich deinen persönlichen Durchbruch". Die einzigen, die damit einen Durchbruch erzielen, sind die Anbieter dieser halbseidenen Angebote.

Lesetipp: Bedeutung der User-Signals für das Google-Ranking

Der gläserne Mensch

Machen wir uns die Folgen dieses online-Turbokapitalismus klar, so entstehen Bilder, die alles, was George Orwell und Aldous Huxley jemals geschrieben haben, in den Schatten stellen. In Kontrollräumen der Social Media Companies sitzen hunderte Ingenieure, die mit ihren Algorithmen steuern, was Milliarden von Menschen denken. Sie legen niemandem Rechenschaft ab, außer den Werbepartnern und der von ihnen finanzierten Werbeindustrie.

So werden Milliarden von Menschen tagtäglich sanft manipuliert. Ironischerweise heißt die Arbeitsplatzbeschreibung dieser Ingenieure dann auch noch "Design Ethics". Man gaukelt sich selbst vor, dass das Ganze auch noch mit Ethik zu tun habe. Dass die meisten Konsumenten den Machern dabei freiwillig erlauben, ein Maximum an privaten Daten abzuzapfen, ist bittere Ironie der Geschichte. Auch ohne Diktatoren exhibitionieren wir uns vollkommen freiwillig in der digitalen Welt.

Lesetipp: Wer wird das wertvollste Unternehmen der Welt?

So wird unsere Art zu denken immer mehr durch soziale Medien beeinflusst. Die US-Wahl im vergangenen Jahr hat gezeigt, dass sogar demokratische Abstimmungen durch Social Bots beeinflusst werden können.
Und unsere Kommunikation und unser Umgang miteinander haben sich schon lange gewandelt. Dazu genügt ein Blick in unsere Innenstädte und U-Bahnen, die von Mutanten bevölkert zu sein scheinen, die mit ihrem Smartphone verwachsen sind. Wir sind zu Konsumierenden in den Fängen globaler Konzerne geworden, die sich zu Tode amüsieren.

Neue Aufklärung tut Not

Aus meiner Sicht tut eine neue Aufklärung Not. Dazu gehört die bittere Erkenntnis, dass wir durch soziale Medien zusehends manipulierbarer geworden sind. Dies zu erkennen und uns einzugestehen, ist der erste wichtige Schritt. Dann erst können wir ins Handeln kommen.

Denn nur wir selbst können über das Wann, das Wie und Wieviel entscheiden. Das Jammern über digitale Fremdbestimmung erinnert mich an die Entrüstung bei Aufkommen des Privatfernsehens in den späten 80er und 90er Jahren. Alle diejenigen, die sich damals über das flache Niveau von Tutti Frutti beschwerten, übersahen dabei ganz offensichtlich, dass sie die Fernbedienung fürs heimische TV selbst in der Hand hielten. Da tut's nur "Abschalten", das wusste schon Peter Lustig von der Kinderserie Löwenzahn.

Einfach mal abschalten

Also, Autoplay lässt sich abstellen, wenn man sich erst einmal durch die komplizierten Einstellungen bei Facebook und andernorts gefummelt hat. Die allermeisten Handys verfügen auch heute noch über einen Aus-Knopf. Und schließlich können wir uns selbst beherrschen. Kein Mensch zwingt uns dazu, in jeder freien Minute zum Smartphone zu greifen. Wir könnten auch einfach mal das Erlebnis erleben, anstatt alles festzuhalten, um es zu posten, damit Andere etwas erleben können.

Lesetipp: Welche Smartphones sind sicher?

Das Zitat von Hastings ließ mich aufhorchen. Ich bezweifle, dass die Marktführer ein echtes Interesse an Ethik haben. Ich zweifele daran, dass sie jemals in aller Offenheit Rechenschaft ablegen und Verantwortung übernehmen. Ich glaube nicht daran, dass sie Timelines entwickeln werden, die die User empowern, anstatt sie zu verführen. Folglich ist und bleibt der beste Schutz gegen ungewollte Inhalte: Unsere digitale Selbstbestimmung. Und eine der besten Optionen im Menü unserer Smartphones und Tablets findet sich unter dem Punkt "Verzicht".